Erschreckende Zukunft
(Ingolstadt / Pfaffenhofen , rt)Berndt Georg Thamm ist Berater von Nachrichtendiensten, der Polizei und der Bundesregierung in Sachen Terror und Organisierte Kriminalität.
Terrorismus und Organisierte Kriminalität sind die Fachgebiete von Berndt Georg Thamm. Der Berliner Experte berät in diesen Fragen unter anderem die Bundesregierung aber auch Polizei und Nachrichtendienste. Am gestrigen Dienstagabend war er auf Einladung der Gesellschaft für Sicherheitspolitik in der Pionierschule Ingolstadt und stellte eine erschreckende Zukunftsprognose in Sicherheitsangelegenheiten. Und: Mit einem Anschlag muss jeder rechnen, jederzeit, überall.
Nicht gespart an Kritik hat Thamm, der vor einer zahlreichen Zuhörerschaft aus der Region zum Thema „Foreign Fighters - die ausländischen Unterstützer des IS“ referierte, zur nationalen und internationalen Terrorbekämpfung. So gebe es zwar das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“ in der Bundeshauptstadt, eine Kooperations- und Kommunikationsplattform von 40 nationalen Behörden aus dem Bereich der Inneren Sicherheit, die eigentlich ihre gesammelten Erkenntnisse an die Kollegen vor Ort weitergeben sollte. Doch „das klappt noch nicht so ganz“, monierte der versierte Fachmann. International sehe es ebenfalls kaum besser aus. Derzeit seien in den 28 Mitgliedsstaaten der EU 4.000 „Gefährder“ bekannt, denen zugetraut werde, etwa Terroranschläge verüben zu können. Doch nur fünf Staaten lieferten Datenmaterial. „Der Rest hält sich bedeckt.“
Thamm erinnerte daran, dass die Terrorgruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS) am heutigen 29. Juni vor zwei Jahren ein islamisches "Kalifat" ausgerufen hat. Auch die „Foreign Fighters“, ausländische IS-Kämpfer, stehen hinter dieser Proklamation. Sie haben im vergangenen November den bislang schlimmsten Terrorakt in der Geschichte Frankreichs verübt (Unsere Zeitung berichtete in einem Live-Ticker). Seit dieser Zeit hätten die Anti-IS-Koalition aus 60 Staaten über 8.000 Luftschläge gegen die Terrororganisation geflogen. „Ohne ihn nachhaltig und mit Erfolg in die Knie zu zwingen.“
In ihrem Vorgehen orientierten sich die Foreign Fighters an der Vorgehensweise pakistanischer Djihadisten im indischen Mumbai Ende November 2008 und führten ihre Anschläge in mehreren Kleinstgruppen aus. Eine perfide Praxis, mit der auch künftig bei Anschlägen gerechnet werden müsse.
Neues Kalifat
Erster Kalif und damit Anführer aller Muslime Abu Bakr al Baghdadi habe eine Botschaft an die Muslime in aller Welt gerichtet, so Thamm: „Muslime eilt in euren Staat. Das ist mein Rat für euch. Wenn ihr ihm folgt, werdet ihr Rom erobern und Herrn der Welt werden durch den Willen Allahs.“ Die Kämpfer sind tatsächlich gekommen. Der Terrorfachmann sprach von 30.000 Foreign Fighters aus 115 Länder.
Thamm schlug zum Erklärungsansatz eine historische Brücke zurück ins muslimische Osmanische Reich, das Jahrhunderte lang bis 1922 existierte. Der Nachfolger des Osmanischen Reiches sei die Republik Türkei geworden, die sich unter Kemal Atatürk als ein säkularer Staat verstand. „Um das auch zu dokumentieren, wurde von der Republik Türkei im Jahre 1924 das Kalifat abgeschafft.“ Der Sultan sei in Personalunion auch Kalif gewesen und damit sozusagen als Nachfolger des Propheten Mohammed auch religiöser Führer des sunnitischen Islams. Damals habe es, von der westlichen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, erhebliche Unruhen und Irritationen in der gesamten sunnitisch-islamischen Welt gegeben.
„Eine Folge war davon, dass vier Jahre später die Muslimbruderschaft von Hasan al-Banna gegründet wurde mit dem Ziel, das Kalifat wieder zu errichten.“ Dieses Ziel sei seither von vielen nicht aus den Augen verloren worden. „Womit man nicht gerechnet hat, …, dass die Idee von der Wiederkalifatserrichtung nicht von der Muslimbruderschaft, auch nicht von moabitsichen Gruppen aus Saudi-Arabien, sondern von militanten islamistischen Terroristen.“ In aller Deutlichkeit sagte Thamm, dass es sich um religiös motivierte Kriegsführung handelt.
Sieben Stufen bis zum Sieg
Von Abu Bakr al Baghdadi sei ein neues Kalifat für einen neuen sunnitischen Menschen ausgerufen in dem alle anderen Religionen keinen Platz hätten. „Der Gedanke überhaupt, dass ein neues Kalifat gegründet worden ist, wo jeder, der ein rechtschaffener sunnitischer Muslim ist, die Möglichkeit hat, dabei zu sein beim Auf- und Ausbau dieses Kalifats, darin liegt zum Teil die große Attraktivität, insbesondere für junge Leute.“ Allerdings warte Thamm auch davor, sich von einem eventuellen vorzeitigen Ende des neuen Kalifats zu viel zu versprechen. Der IS habe mit dem, was er bereits angefangen habe, weltweit „die Herzen der jungen Leute gewonnen, insbesondere in Europa.“
Jeder sei jetzt aufgerufen, an diesem globalen Kalifat mitzuwirken. Dazu gebe es auch einen Master-Plan: Der jordanische Journalist Fuad Hussein habe im Jahr 2000 den Ober-Terrorist al-Sarkawi interviewt und dieses in einem Buch fünf Jahre später veröffentlicht. Demnach gebe es bis zum Jahr 2020 sieben Stufen bis zum Kalifat: Die erste Stufe „Erweckung“ habe von 2000 bis 2002 gedauert (Provokation zur Mobilisierung Radikaler, erinnert sei hier an die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington); 2003 bis 2006 Periode der „geöffneten Augen“ mit Formung geheimer Bataillone, dritte Stufe bis 2010 „Erhebung und Aufstand“ mit Attacken gegen die Türkei und Israel mit Konzentration auf Syrien; vierte Stufe bis 2013, Sturz der verhassten arabischen und jordanischen Regime, Cyberterrorismus gegen die US-Wirtschaft; fünfte Stufe bis 2016, Zeitpunkt, einen islamischen Staat oder ein Kalifat auszurufen; sechste Stufe bis 2018, Periode der totalen Konfrontation, Schüren des Kampfes bezeihungsweise Glaubenskrieges zwischen Gläubigen und Ungläubigen; in der siebten Stufe bis 2020 soll der definitive Sieg, die Endschlacht erfolgen.
Es wird schlimmer werden
Im November des vergangenen Jahres sei eine Schrift bekannt geworden, die in ganz Europa kursiere, mit dem Titel: „Wie überlebe ich im Westen“, ein Handbuch für Mudschahedin, die getarnt in westlichen Ländern leben. Deren Aufgabe sei es unter anderem, einen Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu provozieren. Kapitel darin befassten sich etwa damit, ihr Äußeres möglichst Europäern anzugleichen, zur Geldbeschaffung auf staatliche Sozialleistungen zurückzugreifen oder der Computerkriminalität; auf Körperertüchtigung unter Nutzung westlich-urbaner Gewohnheiten: Laufen und Training in Kampfsportschulen beispielsweise. Der Umgang mit einfachen Waffen, wie einem Sturmgewehr werde thematisiert. Kapitel 8 befasse sich gar mit der Herstellung von Bomben.
Mit dem Buch werde Jedermann zum Djihad aufgerufen, und zwar mit jenen Mitteln, die leicht zugänglich seien. Derjenige, welcher sich dazu aufgerufen fühle, könne eigenständig handeln. Thamm: „Er braucht keine Order von oben, er braucht keinen Einsatzbefehl, es kann jeder nach eigenem Gusto an diesem großen Djihad teilnehmen, mit welchen Mitteln auch immer, zu welcher Zeit auch immer und wo auch immer und gegen wen auch immer.“ Dies habe beispielsweise dazu geführt, so Thamm, dass im vergangenen Februar eine 15-jährige Deutsch-Marokkanerin im Bahnhof von Hannover einen Bundespolizisten mit einem Messer angegriffen hatte. Wenige Monate zuvor habe es eine detaillierte Anleitung im Internet für Messerattacken gegeben, die entsprechende Taten in ganz Europa nach sich zog.
Thamms unbeschönigendes Schlusswort machte die Teilnehmer dann ebenso sprach- wie beinahe fassungslos: „Wir gehen keinen rosigen Zeiten entgegen und - das darf ich Ihnen glaubhaft versichern - es wird noch viel schlimmer werden!“
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