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Steht auf und lasst einen Traum Wirklichkeit werden

(Reichertshofen, rt)

Lena Haber (r.) auf einer ihrer Keniareisen. Foto: Haber privat

 

Afroskop, ein in Reichertshofen ansässiger Verein zur Unterstützung von Frauen in Kenia, wendet sich nach dem Brandanschlag in Winden über seine Vorsitzende Lena Haber an die Öffentlichkeit und ruft sinnbildlich dazu auf, vom eigenen Sofa zuhause aufzustehen und für eine Welt der Freundlichkeit zu kämpfen. Der Politik wirft sie Versagen vor und den Bürgern, sich selbstgefällig an ihren Besitz zu klammern.

Mit den einführenden Worten „Liebe Mitbürger*innen der Gemeinde Reichertshofen, ich trauere!“ beginnt Haber ihr anprangerndes Schreiben. Und sie setzt es fort mit einer durchaus pointierten Beschreibung gesellschaftlicher Zustände, die so sicher nicht jeder teilen wird. Insbesondere die vehemente Verteidigung erworbenen Besitzes ist ihr offensichtlich ein Dorn im Auge und zudem der mehr oder weniger schleichende Prozess des Verlustes gemeinsamer Werte durch eine stetig fortschreitende Individualisierung.

Haber fährt in ihrem Schreiben - hier nachfolgend im Originaltext - an die Reichertshofener so fort:

„Wir leben in einer Gemeinschaft, in welcher der Rasen gemäht und das Auto poliert ist. Eine, in der die Krawatte sitzt, die Kleidung Namen hat und die Schuhe zum Outfit passen. Eine, in der man nur etwas ist, wenn man besitzt. Besitz, den man nicht teilt.

Wir leben in einer Gemeinschaft, in der man den eigenen Nachbarn nicht kennen will. Eine, in der man den Nachbarn verklagt, wenn ein Zweigchen gottgeschaffener Natur den Gartenzaun streift oder ein fremdes Laubblatt den eigenen Boden berührt. Eine, in der man sich nicht grüßt, wenn man sich auf der Straße trifft, sondern stattdessen missmutig den Blick zum Boden wendet. Blicke, die man nicht teilt. Lächeln, das man nur schenkt, wenn man eine Gegenleistung bekommt. Eine Gesellschaft, in der man lieber schweigt, als etwas zu tun. Denn Ärger wollen wir nicht. Ärger haben wir genug. Und wenn wir dann doch einmal den Mund aufmachen, dann reden wir nur. Tun wollen wir nichts. Weil Arbeit, Arbeit haben wir genug.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen protestieren, weil 131 Asylbewerber nicht in ein Haus passen. 'Menschenunwürdig, ja, menschenunwürdig wäre das!', schreien hunderte Menschen hinaus. Die Gästezimmer müssen frei bleiben, falls die Verwandtschaft zu Besuch kommt. Den Partykeller braucht der Sohnemann für seine Sauforgien. Das Kinderzimmer steht zwar leer, weil alle Kinder aus dem Haus sind. Aber wir brauchen unsere Ruhe. Wir arbeiten. Wir haben Stress. Wir haben alles, wir haben Platz – aber nicht für euch.

Denn was haben wir schon damit zu tun? Der Staat, die Politik muss eine Lösung finden, eine Lösung für 131 Asylbewerber. Logisch, wir können sie nicht alle aufnehmen. Wir haben keinen Platz. Deswegen nehmen wir nur 40 auf. Wir haben keinen Platz. Die Politik hat versagt.

Juli 2015, ein Brandanschlag auf ein geplantes Asylantenheim im oberbayrischen Reichertshofen. 'Das waren sicher die Neonazis, diese Rassistenschweine!', schreien hunderte Menschen hinaus. Die Gästezimmer sind leer, der Partykeller und die Kinderzimmer auch. Zum Abendbrot wählen wir zwischen drei Sorten Käse und vier Sorten Wurst. Das Bier muss kühl sein. Es ist heiß, sehr heiß. Wir schwitzen. Die Ventilatoren rattern auf Hochtouren. 'Diese Affenhitze ist ja kaum auszuhalten!', jammern hunderte Menschen und sehen sich die Sportschau im Fernsehen an. Hunderte Menschen schnarchen auf ihren Sofas. Die Asylbewerber immer noch heimatlos. Ich trauere, ich trauere um die Werte unserer Gesellschaft.

Liebe Mitbürger*innen, als Vorsitzende des Vereins Afroskop – Initiative zur Unterstützung starker Frauen in Kenia e.V., der seinen Sitz in der Gemeinde Reichertshofen hat und für Toleranz, Humanismus und Solidarität einsteht, möchte ich Sie dazu aufrufen, das Sofa zu verlassen und zu kämpfen, und zwar für eine Welt, in der man seinen Nachbarn freundlich grüßt, in der man sich über den Gartenzaun zu winken traut, und gemeinsam über die Wunder der Natur freuen kann. Eine Welt, in der wir uns nicht fremd sind, nicht voreinander Angst haben, sondern in der wir uns kennen oder kennen lernen, eine, in der wir uns in die Augen sehen können, 'eine grenzenlose Welt', wie Konstantin Wecker in seinem Lied 'Ich habe einen Traum' singt. 'Wir nehmen sie auf, in unser Haus und sie essen von unserem Brot und wir singen zusammen, sie erzählen von sich und wir teilen gemeinsam die Not.', heißt es dort auch.

Der Helferkreis, 'Jetzt erst recht!', der sich nun formiert hat, zeigt, dass dies nicht nur Utopie bleiben muss. Steht auf von euren Sofas! Lasst uns zusammenhalten und lasst diesen Traum Wirklichkeit werden!
Lena Haber“
 

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