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Sprachliche Wundertüten

(Wolnzach/Ingolstadt, ls)

Er ist die Seele des Ingolstädter Poetry Slams. Am Donaustrand performt Kevin Reichelt zum ersten Mal vor ganz besonderem Publikum in einer ganz besonderen Location.

Kevin schlägt das Herz bis zum Hals. Eigentlich ist er ein erfahrener Poetry Slammer und Moderator. „Heute slame ich zum ersten Mal für jemanden, den ich liebe.“ Fast wie ein Geständnis schickt er die Worte hinaus zu den voll besetzten Rängen am Flussufer. Und zu seiner kleinen Lotti. Die ist zum ersten Mal in ihrem Leben dabei, wenn Papa den Ingolstädter Brüllaffen-Slam präsentiert.

Einmal noch Luft geholt, dann geht es los. Für gewöhnlich moderiert Kevin nur noch, für eine eigene Teilnahme an den mittlerweile so beliebten Veranstaltungen, wo sich wortgewandte Poeten mit selbstgeschriebenen Texten duellieren, hat er keine Zeit mehr. Der 26-jährige ist zweifacher Vater und Journalist – eine zeitfressende Kombination. „Als Slammer bist du auch dauernd unterwegs, fährst zu Slams und in andere Städte. Das geht einfach nicht mehr“, meint Kevin. Ganz lassen kann er das es aber doch nicht. Wenn er das Ingolstädter Publikum für die anderen Schreiber anheizt, performt er auch immer einen eigenen Text.

„Leben kann ich von meinen Texten nicht. Das können die wenigsten. Aber vielleicht klappt es ja irgendwann mal.“ (Kevin Reichelt)

„Ich schreibe total viel über persönliche Dinge. Was finde ich gut? Was nervt mich an anderen Menschen? Was finde ich an mir selbst doof?“, erklärt Kevin. Heute ist der Mittelpunkt seines Textes auch der Mittelpunkt seines Lebens. Es geht um seine Lotti, und was es bedeutet, ein Vater zu sein. Der Auftakt: Ja, er ist jung Vater geworden. Nein, er hat sich sein Leben nicht verbaut. Wenn er mit seinen Töchtern durch die Straßen läuft, sollen alle wissen: Die Entscheidung Vater zu sein war bewusst, und er würde sie nie wieder rückgängig machen.

Seine eigene Kindheit beschreibt der gelernte Bürokaufmann als schwierig, auch deswegen stellen sich den Zuhörern die Nackenhaare auf, wenn er mit den Worten schließt: „Kinder haften für ihre Eltern, denn die können Spuren von Liebe und Glück enthalten. Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen sie einen Arzt oder Apotheker, oder Papa. Weil der macht das schon.“ Das Publikum klatscht und pfeift. Man merkt, Kevin hat einen Nerv getroffen, als er mit der Multifunktionalität des modernen Papas kokettiert. Stylist, Handwerker, Kummerkasten – seine Sprache lässt sofort Bilder im Kopf aufblitzen, besonders wenn er mit einem Augenrollen von der „Prinzessin Lillifee – Sonderedition Einhorn“ erzählt.


„Ich schreibe alles im Kopf vor. Wenn ich mich hinsetze und schreibe, muss der Text sitzen. Sonst ist er noch nicht so weit oder wird nie wieder angeschaut.“ (Kevin Reichelt)

Der eigentliche Wettbewerb startet. Was dann passiert, weiß auch Kevin nicht, und gerade das macht für ihn auch den Reiz an der Veranstaltung aus. „Die Art der Performance ist einfach toll. Es gibt so viele unterschiedliche Texte, jeder verpackt die Themen auf seine Art. Das Ganze ist eine riesengroße Wundertüte“, erklärt er.

Die Teilnehmer des Open Air Slams treten dafür den Beweis an. Jens Hofmann schreibt über seine an Krebs erkrankte Frau, die während der Geburt der gemeinsamen Tochter stirbt. Für einen Moment wird es ganz still. Betroffen wischen sich die Menschen Tränen von der Wange. Pascal Simon fordert auch Tränen, aber vor Lachen, als er sein Publikum stimmgewaltig über die Wandelbarkeit von Sprache aufklärt. Als die spätere Siegerin Lara Ermer ihrem Unmut über das Unwort „Erbeerwochen“ Luft macht, sieht man Kevin die Erleichterung fast an, dass seine Lotti angefangen hat, im Donausand zu spielen. Vielleicht kommt er für einen Abend nochmal davon, und er muss seinem 4-jährigem Mädchen noch nicht erklären, was es mit Menstruation, Tampons und One-Night-Stands so auf sich hat.



 

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