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Die Syrerinnen werden das Land wieder aufbauen

(Wolnzach, msk)


(v.l.) Tanja Maier, Karin Leukefeld und Marianne Strobl nach dem interessanten und diskussionsreichen Vortrag im Haimerlhof

Wenn junge Männer flüchten, und Alte, Kranke und Kinder es nicht mehr können, sind es die Frauen vor Ort, in deren Händen die Verantwortung liegt. Die freie Journalistin Karin Leukefeld erzählte am Dienstag im Haimerlhof, beim 3. Aktionstag für Frauenrechte der SPD, wie die syrischen Frauen die Zähne zusammenbeißen und auf unterschiedlichste Art dem Krieg zu trotzen versuchen.

Gesteckt voll ist das Hotelrestaurant. Die Zuhörerschaft besteht zum Großteil aus Frauen. Tanja Maier und Marianne Strobl haben zum dritten Aktionstag für Frauen der SPD eine Journalistin geladen, die aus erster Hand und jahrelanger Erfahrung Licht ins Dunkel bringt. „Frauen in Syrien – verletzt, aber nicht besiegt“ ist der Titel des Vortrages, der für Veranstalterin Marianne Strobl „hoffnungsvoll und nach Aufbruch klingt.“

Karin Leukefeld – Ethnologin, Islam- und Politikwissenschaftlerin – lebt seit zehn Jahren in Syrien (wobei auch sie durch die Kriegswirrungen zum „Pendler“ geworden ist). Als freie Journalistin ist sie im Nahen und Mittleren Ost unterwegs, hat mehrere Bücher dazu publiziert. Ruhig, unkompliziert und ohne „Stimmungsmache“ beschreibt sie zu ihren eigenen Fotos, wie die Situation in Syrien ist und war und welche Hilfsprojekte von und für Frauen angeboten werden.

 

Berufliche Hilfe für auf sich gestellte Frauen

So haben sich Vertreter der Salesianer, der UNO und des Deutschen Roten Kreuzes im salesianischen Kloster in Damaskus zusammengetan, um einen Näh- und Handarbeitskurs für inlandsvertriebene Frauen auf die Beine zu stellen. Durch den Kurs, in dem Frauen aller Religionen und Konfessionen zusammenkommen (so wie sie es auch im syrischen Alltag tun!), entsteht für sie eine neue finanzielle Existenzgrundlage, um ihre Familien und sich selbst zu versorgen. Manche müssen dies zum ersten Mal (alleine) tun, andere verloren durch den Krieg ihre Plantagen oder Geschäfte und brauchen ein neues Standbein. Ein privater Spender aus Damaskus steuerte für jede Kursteilnehmerin eine eigene Nähmaschine bei – eine Maschine, die natürlich mit Strom betrieben wird; „Das ist dann wohl nur was für die Stadt“, denn auf dem Land ist die Stromversorgung praktisch gänzlich zusammengebrochen.
 

Da schmunzeln die Zuhörer, als Frau Leukefeld bei diesem Foto auf den "Sinn" der Kopftuchdebatte hinweist. (Foto: K. Leukefeld, im Folgenden KR)

Für Frauen, die noch sehr um ihre Selbstständigkeit kämpfen müssen, stellte die seit vielen Jahren in Syrien lebende Heike Weber mit ihren deutschen Kolleginnen ein Nähprojekt auf die Beine, bei dem über 2.000 Syrerinnen ihr traditionelles Kunsthandwerk zeigen und verkaufen – mit so großem Erfolg, dass sich einige davon finanziell emanzipieren konnten. Hieran nahmen auch drusische Frauen teil. Sie sind trotz fortschrittlicher Bildung bezwungen, innerhalb der drusischen Gemeinschaft südlich von Damaskus zu heiraten und müssen bei ihren männlichen Verwandten unterkommen, wenn sie unverheiratet bleiben.

In Syrien gibt es viele Frauen, die für ihre Unabhängigkeit vom Mann (dessen Unterschrift oftmals gebraucht wird wie bei uns vor 1977) eintreten und für eine neue Verfassung plädieren. Ob sie Syrien nicht mehr verlassen können oder es nicht wollen – die Mehrheit der noch im Land verbliebenen Menschen sind Frauen. Sie wissen, dass sie sich selbst helfen müssen, denn „es kann keinen Frieden geben, wenn der Nachbar es nicht will“. Wer sich bereits selbst hilft, sind unter anderem die kurdischen Frauen. Sie sind es, die man als weibliche Soldatentruppen im Fernsehen sieht, und sich hauptsächlich zur Verteidigung aufgestellt haben, denn sie wollen ihren Säkularismus und ihre Modernität im Land vor der mittelalterlichen Weltanschauung des Islamischen Staates um jeden Preis schützen.



Kurdische Soldatinnen - den männlichen Kollegen gleichgestellt (Fotos: KR)


Hoffnungsschimmer contra Perspektivenmangel

Aus unserer westlichen Sicht, voller solidem Halbwissen, scheint der Nahe und Mittlere Osten in sich ziemlich ähnlich. Beliebte Stammtischmeinung: „Die raufen doch seit Jahrhunderten um dieselben fünf Steinehaufen“. Syrien aber war vor dem Ausbruch der Kämpfe ein wirtschaftlich stabiles Land, „da musste niemand hungern“, sagt Leukefeld, die betont, welch gute Beziehungen die Bundesrepublik zu dem Land einst hatte und frühzeitig hätte geltend machen müssen, um mit der EU rechtzeitig Druck auszuüben und aktiv gegen die Konflikte anzugehen. Das größte Problem, das Syrien vor dem Krieg hatte, war das Aufklärungsgefälle mancherorts zwischen Stadt und Land.



Mit dem Pass ihrer Männer holen die Frauen ihre Hilfspakete ab. Die Preise für die knappen Waren im regulären Handel haben sich mittlerweile versechsfacht. (Fotos: KR)
 

„Wenn wir Frieden in Syrien bekommen, werden es die Frauen sein, die das Land wieder aufbauen“, zitiert Leukefeld einen jungen Kriegsdienstverweigerer, der im syrischen Untergrund für den Frieden kämpft. Die Mehrheit seiner jungen, männlichen, ausgebildeten Kollegen verließ das Land mit den ersten Flüchtlingsströmen. Diese Fachkräfte fehlen jetzt vor Ort. Aber während viele in Europa bleiben möchten, weil sie schlicht nichts mehr haben, zu dem sie zurückkehren können, gibt es auch jene, die die Hoffnung nicht aufgegeben haben und für Friedensverhandlungen zwischen den bewaffneten Truppen arbeiten. Dem Treffen in Genf steht Leukefeld skeptisch gegenüber, denn die Vertreter dort sind zum Großteil die Männer, die den Krieg machen, und nicht die Frauen, die ihn zu beenden suchen.



Hoffnungsvoll verabschiedeten sich diese jungen Studenten von ihren Familien, erzählt Karin Leukefeld. Das Foto entstand, als man die Flucht noch als Übergangslösung zur Kriegsdienstverweigerung sah (Fotos: KR)
 

In Syrien ist noch lang kein echter Frieden in Sicht. Man hangelt sich von Waffenstillstand zu Waffenstillstand und fühlt sich von der internationalen Politik im Stich gelassen. „Ich finde da läuft etwas sehr, sehr schief. Dieses mulmige Gefühl begleitet mich jetzt die letzten fünf Jahre“, gibt Karin Leukefeld in der dem Vortrag folgenden Diskussion zu. Man merkt ihr an, dass auch sie die Nase gestrichen voll von der Weltpolitik hat. An der Ursache wird nichts getan und die Symptome mehr schlecht als recht versorgt. Ob es viel Sinn macht, einem der wichtigsten Waffenlieferanten für IS-Truppen zweimal drei Milliarden Euro zur besseren Flüchtlingsversorgung zu geben, sei dahingestellt. Die Kriegswirrungen machen es jedenfalls nicht leichter, sich um die Emanzipation der Frauen zu kümmern, die auf die Hilfe genannter Projekte angewiesen sind. Aber vielleicht wird auch genau diese schwierige Situation am Ende für ein neues Selbstbewusstsein sorgen, wenn die syrischen „Trümmerfrauen“ die Ärmel hochkrempeln. Karin Leukefeld ist sich sicher: „Die Frauen sind es, die alles aufrecht erhalten.“

 


Junge, syrische Mädchen bei einer Demo des "Vermittlungskommitees", das konfessionsübergreifend Bürger versammelt um sich Gehör zu verschaffen und ihr Zuhause zu schützen. (Foto. KR)

 

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