TTIP nein danke – regional ja bitte!
(Reichertshausen, rs)TTIP - eine Abkürzung, die uns mehr und mehr unterkommt. Doch wer weiß eigentlich, was genau sich dahinter verbirgt? Zu einer diesbezüglichen Informations- und Diskussionsveranstaltung hatte der Ortsverband der Grünen für den Donnerstagabend in den Reichertshausener Gasthof Fuchs eingeladen. Mehr als 30 interessierte Bürgerinnen und Bürger kamen, einen einführenden Gastvortrag zu TTIP hielt die Landtagsabgeordnete der Partei, Gisela Sengl.
von links: Helmut Schnapp (Vorsitzender Ortsverein), Kerstin Schnapp (Kreisvorsitzende), Gisela Sengl (MdL), Norbert Ettenhuber (Kreisvorsitzender)
Das Ziel von TTIP sei, so die Bundesregierung in einer aufgelegten Infobroschüre, "... mehr Handel. Zölle und Handelsbarrieren für Waren und Dienstleistungen sollen möglichst wegfallen. Im Gesundheits-, Lebensmittel- oder Verbraucherbereich sollen dabei die hohen Standards der EU in jedem Fall erhalten bleiben." Das hört sich zunächst einmal nicht unbedingt negativ an. Dass diese Aussagen jedoch eher "vertrieblich argumentiert" sind und dass sich hinter einem Abkommen wie TTIP (Transatlantic and Investment Partnership, einem so genannten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union) ganz konkrete Gefahren und negative Veränderungen in unserer Gesellschaft verbergen können, wurde im Vortrag von Gisela Sengl ebenso wie in den anschließenden intensiv geführten Diskussionen mehr als deutlich.
Sengl, seit 2013 grüne Landtagsabgeordnete und agrarpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, sieht im "transatlantischen Freihandelsabkommen eine große Gefahr für die bäuerliche Landwirtschaft und einen Widerspruch zur Regionalität". Das zeigen ganz deutlich die Erfahrungen und Konsequenzen aus dem 1994 vereinbarten Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko: für Mexiko bedeutete der durch NAFTA stark ansteigende Import - in den USA subventionierten - US-Mais den Ruin vieler Kleinbauern. Für die USA wiederum ging Nafta mit der Abwanderung von Industriejobs und einem rasch anwachsenden Handelsdefizit einher. Gewinner seien ausschließlich Investoren und Konzerne, so die Erkenntnis nach nunmehr 20 Jahren.
Ziel von NAFTA - und auch von TTIP - seien nämlich auch in besonderem Maße der Schutz von Auslandsinvestitionen vor Profitverlusten durch die Gesetzgebung des jeweiligen Gastlandes. So habe beispielsweise der Tabakkonzern Philip Morris ein Verfahren gegen Uruguay in die Wege geleitet, weil das kleine südamerikanische Land durch seine restriktive Tabakpolitik die Markenschutzrechte des Konzerns verletze und darüber Umsatzverluste hervorrufe. Derartige Verfahren werden - wie in Freihandelsabkommen geregelt - über eigens geregelte Schiedsgerichte unter Umgehung nationaler Gerichtsbarkeiten abgewickelt. Darüber eröffneten sich kaum absehbare Möglichkeiten für internationale Unternehmen, Staaten im Interesse von Gewinnoptimierungen derart unter Druck zu setzen, dass nationale Interessen wie beispielsweise sozial- oder umweltpolitische Ziele erschwert werden oder gar untergehen. Regionale Produktion und ein damit einhergehender Markenschutz lokaler Spezialitäten werde - das zeigen die bisherigen Erfahrungen - stark unter Druck gesetzt, schlechtesten Falls verdrängt.
Verbreitung von Gentechnik, Fracking, Hormon-belastetes Fleisch - das sind nur einige der Punkte, deren Positionierung in unserer Gesellschaft nach einem möglichen TTIP-Abkommen neu zu bewerten sein wären. Zwischen 150000 und 250000 schwankt die angegebene Zahl der Teilnehmer an einer Stop-TTIP-Demonstration Anfang Oktober in Berlin - je nachdem, ob die Schätzung von Befürwortern oder Gegnern des Abkommens lanciert wird. Egal, es war in jedem Fall die größte Mobilisierung einer Bewegung in Deutschland, seitdem gegen den Beginn des Irak-Kriegs demonstriert wurde. Die Menschen seien mittlerweile aufgewacht, so Gisela Sengl, denn sie erkennen immer mehr, dass TTIP Einfluss auf das Leben jedes Einzelnen haben wird. Bezogen auf die Landwirtschaft - sie ist studierte Wirtschaftsfachwirtin und führt mit ihrem Mann einen Bioland-Hof mit Gemüse-, Getreide- und Kartoffelproduktion - stellt sie die wesentlichen Unterschiede zwischen USA und Europa dar: bei annähernd gleicher zu bestellender Fläche sei die Struktur komplett unterschiedlich; in den Vereinigten Staaten gebe es keine Kleinbetriebe in der Landwirtschaft, alles sei durchindustrialisiert und ausschließlich auf Gewinnoptimierung ausgerichtet. Vieh auf den sogenannten Cattle Farms wachsen nach dem äußeren Eindruck auf weitläufigen Weiden und damit scheinbar artgerecht auf, die Tiere seien bei genauerer Betrachtung jedoch allesamt gechippt, worüber die Hormonzufuhr kontrolliert und gesteuert würde. Derartig unterschiedliche Strukturen und Ansichten sollten nach TTIP miteinander konkurrieren, "das kann nicht gutgehen", so die Abgeordnete.
Unverständnis rief in der an den Vortrag anschließenden Diskussion die Tatsache hervor, dass die Verhandlungen über das zu erzielende Freihandelsabkommen offensichtlich in zuvor kaum gekannter Geheimhaltung erfolgen. Transparenz scheint nicht gewollt, Verhandlungsführer ist die Europäische Kommission im Namen und mit einem Mandat der EU-Mitgliedstaaten. Gegenbewegungen gebe es demnach in erster Linie in Frankreich, Österreich, Italien und eben Deutschland. Bei TTIP - wenn denn so einmal unterzeichnet - handele es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der mit einer schier unglaublichen Frist von 30 (!) Jahren gekündigt werden könne. Als sinnvolle Anregung wurde der Vorschlag einer Veranstaltungsteilnehmerin angesehen, doch einmal einen TTIP-Befürworter zu einer Diskussion einzuladen; Ortsvorsitzender Schnapp versprach, diesbezüglich einen Versuch zu unternehmen.
"Wenn ich nichts mache, passiert garantiert nichts. Wenn ich etwas mache, passiert vielleicht etwas." Mit diesem Appell der Initiatoren der (Anti-)TTIP-Veranstaltung wurden die Teilnehmer nach intensiven und außergewöhnlich praxisnahen Diskussionen auf den Heimweg entlassen. Eines ist allen bewusst geworden: TTIP ist nicht ein Thema für "die da oben", TTIP geht uns alle an ... ein unbedingter Grund, dran zu bleiben und die Diskussionen auf eine wesentlich breitere Basis zu stellen.
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