Gut durch den Winter - aber ohne Hafer
Eine weit verbreitete Meinung ist, dass in unseren Wäldern in der Winterzeit möglichst viele Wildfütterungen stehen sollten, damit die Rehe nicht Hunger leiden. Professor Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien ist da ganz anderer Ansicht.
Jäger und andere Naturfreunde waren überrascht von dem, was ihnen der Wissenschaftler anlässlich seines Vortrages zur Hubertusfeier der Jägerverinigung Pfaffenhofen in der Scheyerer Klosterschenke da sagte: Wildtiere benötigen im Winter vor allem eines, Ruhe! "Hören Sie am 24. Dezember damit auf, die Rehe zu bejagen", appellierte Arnold und so mancher Jäger spitzte ab da besonders seine Ohren. Natürlich gelte es auch für die sonstigen Freizeitnutzer des Waldes, Rücksicht auf das besondere Ruhebedürfnis der Tiere in der kalten Jahreszeit zu nehmen. Und auch mit einem vielerorts herrschenden Vorurteil räumte er auf, nämlöich dass der Jäger aus biologischer hierzulande im Winter überhaupt nicht fütten müsse. Macht er es trotzdem, sollte er kein eiweißreiches Futtermittel verwenden, insbesondere Hafer wirke sich verheerend auf die Gesundheit der Rehe aus.
Arnold forscht in einem 50 Hektar großen Gatter nahe Wien aber auch im Freiland seit zahlreichen Jahren an Rothirschen, Steinböcken, Gämsen, Rehen seines Institutes und häufte eine reichen Erfahrungsschatz über das winterliche Fressverhalten der Tiere an.
Allgemein gilt, dass Pflanzenfresser während des Winters einer doppelten Belastung ausgesetzt. "Nahrung ist nur noch spärlich vorhanden und zudem von schlechter Qualität. Gleichzeitig sind aber die energetischen Kosten der Wärmeregulation bei Kälte und Schnee höher", so Arnold. Wildtiere hätten deshalb erstaunliche Strategien entwickelt, wie sie bisher nur von echten Winterschläfern bekannt waren. Durch eine Absenkung der Stoffwechselaktivität, die vor allem durch die Toleranz einer niedrigeren Körpertemperatur möglich ist, verringere sich der Energiebedarf während der Winterzeit drastisch und die Wildwiederkäuer zehren im Winter von Fettreserven bei deutlich verringerter Futteraufnahme. Es wächst ja nicht mehr so viel.
Die Tiere verbringen dann anstatt zu fressen mehr Zeit ruhend in ihrem Einstand und verbrauchen daher auch weniger Energie. Die im Vergleich mit anderen Jahreszeiten schlechte Qualität der Nahrung kompensieren sie unter anderem mit einer längeren
die Darmpassagezeit. Wenn es weniger Nahrung gibt, kann auch der Verdauungstrakt reduziert werden. Der Abbau von nicht benötigtem Gewebe ist eine ebenfalls energiesparende Reaktion der Tiere. "In der Tat ist die Reduktion innerer Organe im Winter bei Wildtieren ein weit verbreitetes Phänomen", so Arnold.
Schrumpfende Organe
In seinen Untersuchungen ermittelte der Forscher einen um bis zu 30 Prozent geschrumpften Pansen bei Reh- und Rotwild. Ähnlich verhält es sich mit anderen Organen. Mit der Anlage von Fettreserven und deren Verbrauch im Winter kompensieren Tiere die unzureichende Nahrungsversorgung in der Notzeit. Doch auch Wärmeverluste belasten die Wildtiere, denen sie mit einem dickerem Fell als sie es sommers tragen und einer erhöhten die Toleranz gegenüber der geringeren Körpertemperatur begegnen,
Winterschlaf auf dem Prüfstand
Lange Zeit definierte die Wissenschaft Winterschlaf über die Körpertemperatur und als Winterschläfer galten jene deren Körpertemperatur unter 10 Grad Celsius sinkt. "Heute wissen wir, dass die Stoffwechselrate selbst die primär regulierte Größe ist", erläutert Arnold. Sie sinkt beim Eintritt in den Winterschlaf bereits auf ein Minimum lange bevor die Körpertemperatur ihr Minimum erreicht. "Die traditionelle Unterscheidung von „winterschlafenden“ und „winterruhenden“ Tieren ist nicht sinnvoll."
Untersuchungen an Wild zeigten, dass es in einen energiesparenden Zustand fallen kann, der den physiologischen Vorgängen beim echten Winterschlaf gleicht.
Zudem verringert sich der Blutfluss in die äußeren Körperteile; der Preis dafür ist, dass sich die Tiere nicht mehr so flink bewegen können. Im Gegensetz zum Menschen können Wildtiere tiefe Temperaturen in den äußeren Körperteilen sogar über lange Zeit ertragen, ohne dass ihr Gewebe dadurch geschädigt wird.
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen nun, dass Störungen von Wildtieren im Winter wenn nur irgend möglich zu vermeiden sind. "Ruhe im Revier ist daher das oberste Gebot im Winter", empfiehlt Arnold und gibt deshalb die Empfehlung an die Adresse der Jäger, am Heiligen Abend mit der Jagd auf Reh- und Rotwild aufzuhören. In Bayern ist sie je nach Wildart bis Ende Januar erlaubt. Arnold sagt deutlich: "Wer das Wild im Winter durch den Wald scheucht, muss sich über Wildschäden nicht wundern." Doch auch Erholungssuchende und Freizeitsportler sind gefordert, dem Wild ihre Ruhe und damit oftmals auch ihr Überleben zu gönnen. Für eine mögliche Lösung der Problematik hält Arnold spezielle Winterruhezonen, die nicht betreten werden dürfen.
Zu Tode gefüttert
"Winterfütterung hat aus wildökologischer Sicht ihre Berechtigung dort, wo im Sommer mehr Tiere Lebensraum finden, als dieser im Winter ohne zu hohe Wildschäden tragen kann – warum auch immer", meint Arnold. Eine weitere Konsequenz aus den jahreszeitlichen Veränderungen der Physiologie und des Verhaltens der Wildtieren betrifft die Winterfütterung der Tiere. Natürliche Äsung ist im Winter eiweißarm, faserreich und schwer verdaulich. Wird nun eiweißreiche oder zu leicht verdauliche Futtermittel verwendet, führt das unweigerlich zu Problemen. Entweder zu vermehrtem Pflanzenverbiss und Schälschäden am Bäumen, um die Nährstoffkonzentrationen in der aufgenommenen Äsung auf ein saisongerechtes Niveau zu bringen, oder zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden.
Untersuchungen an verendeten Rehen haben Arnold gezeigt, dass viele von ihnen an einer Übersäuerung des Pansens eingegangen sind. "Umgebracht haben sie wohlmeinende, aber unwissende Jäger." Die Ursache dafür ist die übermäßige Aufnahme leicht verdaulicher, energiereicher Nahrung, beispielsweise Hafer. Der auf karge Winterkost eingestellte Verdauungstrakt der Tiere kann damit nicht umgehen und sie haben keinen Mechanismus entwickelt sich darauf einzustellen. In der Natur gibt es eben im Winter keinen Hafer.
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