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Flüchtlinge - von Europa über Deutschland nach Reichertshausen

(Reichertshausen, rs)

Nach den bereits durchgeführten Bürgerversammlungen in Geisenfeld, Wolnzach und Manching gab es seitens des Landratsamts am Montagabend im südlichen Landkreis Pfaffenhofen die Informations- und Diskussionsmöglichkeit für alle Interessierten, sich zum Thema Flüchtlinge und Asyl auf den Stand bringen zu lassen und ihre möglichen Sorgen und Ängste, aber durchaus auch positiven Erfahrungen vorzubringen.

von links: Niklas Hafenrichter, Sonja Schweitzer, Karl Straub, Martin Wolf, Reinhard Heinrich, Gabi Pulm-Muhr, Christine Knodel und Thomas Schmid

So um die 250 Bürgerinnen und Bürger fanden sich in der Reichertshausener Ilmtalhalle ein. Sie sahen sich einem Podium gegenüber, das die Thematik "Flüchtlinge und Asyl" aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, bewertet und mit jeweils eigenen Erfahrungen versieht. Eingeladen hatte Landrat Martin Wolf, der neben sich den Landtagsabgeordneten Karl Straub sowie Reichertshausens Bürgermeister Reinhard Heinrich (alle CSU) hatte; diese Drei bildeten sozusagen die "politische Fraktion" des Expertenkreises. Aus der Verwaltung des Landratsamts waren die beiden Abteilungsleiter Niklas Hafenrichter (Kommunales, Sicherheit und Ordnung; hierzu gehört auch das Ausländeramt) und Sonja Schweitzer (Soziales und Allgemeine Rechtsfragen) zugegen. Die Ehrenamtlichen und damit die praktischen Erfahrungen aus Betreuung und Umgang mit Flüchtlingen waren durch Gabi Pulm-Muhr (Caritas) und Christine Knodel (Arbeitskreis Asyl Jetzendorf) vertreten. Last but not Least konnte der Leiter der Polizeiinspektion Pfaffenhofen, Thomas Schmid, die Erfahrungen der Ordnungshüter in Bezug auf die Flüchtlinge in seinem Verantwortungsbereich weitergeben.

Es sei natürlich etwas Ungewöhnliches, wenn eine Bürgerversammlung durch das Landratsamt organisiert würde, so begann Landrat Martin Wolf seine kurze Einleitung in das Thema. Je angespannter die Situation jedoch werde - und wir befänden uns in der Asylfrage momentan in einer kritischen Phase -, umso mehr sei die Gefahr einer Spaltung des Landkreises in zwei Lager gegeben, was es jedoch unbedingt zu verhindern gelte. "Mir ist es wichtig, dass wir im Landkreis Pfaffenhofen nicht auseinander brechen." Der Hausherr der Versammlungsstätte, Reichertshausens Bürgermeister Reinhard Heinrich, nannte die beiden Schwerpunkte Wohnraumbeschaffung und Aufbau Helferkreis als die aktuell mit Hochdruck angegangenen Punkte in seinem Gemeindebereich. Auf fast 100 Flüchtlinge müsse Reichertshausen sich einstellen, eine Belegung von Turnhallen, so das Gemeindeoberhaupt klar und deutlich, wolle niemand.

Kurz und knapp waren die Einleitungen, keine Präsentationen oder Statistiken, das war gut so! "Jetzt red' i", mit dem Slogan der Bürgersendung des Bayerischen Rundfunks forderte der Moderator des Abends, Bernhard Mahler von Radio In, das Publikum auf, die Frage- und Diskussionsrunde zu eröffnen. Thematisch ließen sich in der Folge die Fragen des Abends dabei in folgende Kapitel strukturieren:

  • Wie läuft das eigentlich? - Der zu durchlaufende Prozess eines Asylbewerbers vom Grenzübertritt mit der Ersterfassung bis hin zum Anerkennungsverfahren inklusive der dazwischen liegenden Möglichkeiten von Betreuung, Betätigungsfeldern und Integration
  • Wer steht denn nun wofür? - Die "große Politik" des Freistaats Bayern über die Haltung der Bundesregierung bis hin zur Positionierung Europas in diesem Thema
  • Was kommt da auf mich und meine Familie zu? - Konkrete Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger, durchaus aber auch viele positive Erfahrungen aus dem direkten Umgang mit den uns noch viel zu fremden Leuten

 

Wie läuft eigentlich das Asylverfahren?
Die Fragerunde begann höchst sachlich: wie denn der Werdegang eines Flüchtlings sei, nachdem er die Grenze übertreten habe, fragte sich jemand aus dem Publikum. Niklas Hafenrichter beschrieb den Weg durch die behördlichen Instanzen mit Identitätsfeststellung, medizinischer Untersuchung bis zur Überführung in eine Erstaufnahmeeinrichtung. Dolmetscher seien hier zumeist gefragt, weil ein Großteil der Flüchtlinge weder deutsch noch englisch in ausreichendem Maße sprechen würde. In der Regel solle ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Asylantrag weniger als 6 Monate dauern, ergänzte MdL Karl Straub, aufgrund von Personalengpässen sei dies jedoch aktuell nur Theorie. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzt solle und werde dort Abhilfe schaffen. 60% der Flüchtlinge, so betonte Landrat Wolf, werden voraussichtlich wieder zurückgeschickt werden müssen, weil sie den Anforderungen zur Asylgewährung nicht genügen und die Bedingungen nicht erfüllen; das heiße aber auch und darüber müsse man sich im Klaren sein, dass 40% bleiben!

 

 

Bayern, Deutschland und Europa - Wer steht wofür?
"Wieso zählt der europäische Gedanke nicht mehr?", fragte Dieter Schwab, Ortsvorsitzender der CSU in Scheyern. Die Flüchtlinge würden durch Länder kommen, in denen wir Urlaub machen, kämpften sich über staubige Straßen vorbei an Stränden und Häfen der Ferienregionen. Die "europäische Grundordnung" müsse wieder hergestellt werden, die Verteilung auf europäischer Ebene müsse endlich funktionieren. Grundproblem sei aber, so die Kommentare mehrerer an der Diskussion Beteiligter, die von Bundeskanzlerin Merkel ausgesprochene Einladung; sie habe Anfang September Deutschlands Grenzen für alle Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern geöffnet und europäisches Recht gebrochen, als sie den in Ungarn festsitzenden Flüchtlingen die Weiterreise gestattet hatte. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieser Aktion gab es hierfür aber durchaus auch Hochachtung für die Kanzlerin aus dem Publikum: menschlich sei das einfach ein Akt sozialen Handelns, der uneingeschränkte Anerkennung verdiene, so eine Teilnehmerin.

Dass der Freistaat Bayern die Kommunen mehr unterstütze als andere Bundesländer, machte Martin Wolf dem Zuhörerkreis deutlich; so würden sämtliche Kosten der Unterbringung durch den Freistaat übernommen, für weitergehende Betreuungskosten jedoch müssten die Kommunen aufkommen. Die Rolle des Ehrenamts machte Christine Knodel vom Jetzendorfer Helferkreis deutlich und verwies auf dessen Rolle in dem politischen Gehabe: Quoten könnten von der Politik wohl vorgegeben werden, wenn aber die Bereitschaft in den Ehrenämtern einmal kippen würde, dann gäbe es Probleme ganz anderer Art; denn: der Staat könne die Betreuungsaufgaben schon lange nicht mehr übernehmen.

 

Sorgen und Ängste - Was erwartet mich und meine Familie?
Naturgemäß waren bei der Bürgerversammlung am Montagabend - auch wenn sie für den "südlichen Landkreis Pfaffenhofen" ausgeschrieben war, die Reichertshausener in der Überzahl. Nicht verwunderlich deswegen auch, dass es eine Reihe von Fragen zur Gemeindepolitik und zu den Plänen zur Bewältigung der Flüchtlingssituation in der Gemeinde gab. Annähernd 100 Menschen, so der aktuelle Plan, müssen untergebracht werden. Man strebe in jedem Fall eine dezentrale Unterbringung an, so Bürgermeister Heinrich; gemeinsam mit dem Gemeinderat habe er bereits ein Positionspapier verabschiedet, das die Eckdaten zum Thema "Flüchtlingssituation in der Gemeinde" einvernehmlich regeln soll. Der Skaterpark an der Paindorfer Straße sei als möglicher Standort von Wohncontainern für ca. 35 Personen vorgesehen, des Weiteren hoffe man, Wohnungen für weitere 10-15 Menschen anmieten zu können. In Steinkirchen sei das Grundstück hinter dem Pfarrheim ein möglicher Standort für weitere Wohncontainer, hierzu fehle aber noch die endgültige Zusage der katholischen Kirche als Grundstückseigner. Letzterer Standort brachte einige Mütter von Kindergarten-Kindern auf den Plan. Kann man den Kindern diese direkte Nachbarschaft zumuten? Wie soll es dann mit dem gerade begonnenen "Gartenprojekt" weitergehen? Beruhigen konnten an dieser Stelle Gabi Pulm-Muhr (Caritas) und Christine Knodel: wieso werde das nicht zu einem "interkulturellen Gartenprojekt" erweitert? Das würde den Kontakt herstellen und bestmögliche Integration über gemeinsame Ziele schaffen.

Auf bewusst lancierte Meldungen ganz besonders in den sozialen Netzwerken ging Thomas Schmid von der Pfaffenhofener Polizeiinspektion ein: weder sei an den kursierenden Vergewaltigungsmeldungen bei den Volksfesten in Geisenfeld und Pfaffenhofen etwas dran noch liefere die Kriminalstatistik Anlass zu erweiterter Besorgnis. So seien die 8 anhängigen Körperverletzungsdelikte der jüngeren Vergangenheit allesamt nicht im öffentlichen Raum passiert, sondern wohl zumeist auf die Enge und den Frust in den Unterkünften zurückzuführen gewesen. "Die Leute kommen wegen des Bedürfnisses nach Sicherheit, nicht um zu belügen und betrügen.", so die Erfahrung von Gabi Pulm-Muhr. Und: "Die Leute machen sich auf den Weg, weil sie von kriminellen Schleusern falsche Versprechen erhalten."

Dass sich über die Flüchtlingsströme auch Terroristen des Islamischen Staats nach Deutschland einschleusen könnten, das könne man natürlich nicht ausschließen, beantwortete Karl Straub eine diesbezügliche Frage. Nur hätten die gewiss auch andere Möglichkeiten, in unser freies Land zu gelangen, wenn sie es darauf anlegen täten. Durch die jüngst in der Regierungskoalition beschlossenen Maßnahmen würden die Prozesse in wesentlich besser geregelte und transparentere Bahnen geleitet, das sei zugleich auch mit einem Mehr an Kontrolle und damit Sicherheit verbunden.

 

Und dann noch dies ...
In zwei Fällen wurden aber auch offensichtlich vorhandene Vorurteile offen angesprochen. Man solle doch - ebenso wie schon andere Staaten - die Grenzen sichern und darüber den Zufluss stoppen. Dem setzte Karl Straub entschieden entgegen, dass das Zusperren keine Lösung sein könne, vielmehr müsse man Sorge tragen, dass die EU-Außengrenzen wieder funktionieren. Zu Kopfschütteln und Fremdschämen bei vielen Besuchern führte die Frage einer Interessentin, wie man denn dem "hormonellen Stau" gerade bei Schwarzafrikanern entgegen treten wolle. Moderator Mahler (Bild rechts) wusste so gar nicht, wer auf dem Podium denn der "Experte für hormonelle Bedürfnisse" sei, beantwortete jedoch seinerseits die Frage mit einer Gegenfrage: wie das denn beispielsweise in Justizvollzugsanstalten geregelt sei, die seien ja auch nur für jeweils ein Geschlecht eingerichtet.

 

Alles in allem muss man dem Landrat und seinem Stab attestieren, dass diese Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden in jedem Fall zu mehr Aufklärung führen. Man wird darüber Gegner der augenblicklichen Entwicklung nicht umstimmen, man wird auch die schon jetzt engagierten Helfer nicht von ihrem Einsatz für die konstruktive Integration abbringen. Das Gros der Bürgerinnen und Bürger - den Eindruck hat man bei der Bürgerversammlung in Reichertshausen gewonnen - steht den Fremden in unserem Land unsicher gegenüber und hat offensichtliche Berührungsängste, weiß nicht, wie man den Ankömmlingen gegenübertreten soll. Diese Hürden abzubauen und den Flüchtling als Menschen zu begreifen, der auch Gefühle hat, teilweise schlimme Erlebnisse verarbeiten musste und für sich ganz persönlich und seine Familie eine sicherere Perspektive sucht, das hat die Bürgerversammlung bei dem einen oder anderen ganz sicher erreicht.
 

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