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Unser täglich Brot – HiPP diskutiert über nachhaltige Landwirtschaft

(Pfaffenhofen, ls)

Ein stark besetztes Podium (v.l.): Dr. Alexander Beck, Johannes Doms, Joschka Fischer, Christoph Heinrich, Dr. Ursula Hudson, Dr. Eick von Ruschkowski und Christine Singer

Eine sinkende Biodiversität, Etikettenschwindel mit glücklichen Hühnern und ein immer mehr wachsender Biohype – die Diskrepanz zwischen Produktion und Lifestyle könnte gerade nicht größer sein. Unter dem Motto „Schöner Mist! Nachhaltige Landwirtschaft – romantische Spinnerei oder machbare Realität“ lud Nahrungsmittelhersteller HiPP zum Schlagabtausch ein, und das mit äußerst prominenter Panel-Besetzung. Der ehemalige Vizekanzler Joschka Fischer widmete sich mit Kollegen aus Wirtschaft und Verbänden vielen Fragen. Wo kommt unsere konventionelle Landwirtschaft her? Wo geht unsere Lebensmittelproduktion hin? Was muss verändert werden? Und vor allem: Bleibt uns dafür noch genug Zeit?


Eine ausweglose Situation


Gleich zu Anfang rückte Christoph Heinrich, Diplom-Geograph und Rechtswissenschaftler beim WWF, die Ausweglosigkeit für ein Umdenken in der Landwirtschaft ins rechte Licht. Aufgrund des Einsatzes von Herbiziden und ständiger Behandlung der Felder sind seit 1980 94% der Rebhühner von deutschen Wiesen verschwunden – ein Indikator für den besorgniserregenden Rückgang der Biodiversität. „Die Landwirtschaft ist ein lebensfeindlicher Raum geworden“, so Heinrich. Eine Einschätzung, gegen die sich Christine Singer entschieden wehrte.

Die Erste Stellvertretende Landesbäuerin des Bayerischen Bauernverbandes trat für das sich verändernde Klima unter den bayerischen Bauern ein. „In Bayern wird nach hohen Standards produziert“, so Singer. Man zeige mit dem Finger immer auf die Landwirte, doch auch die sind an das gebunden, was Verbraucher und Verarbeiter fordern – nämlich immer billigere und dabei möglichst hochwertige Lebensmittel.


Eine gescheiterte Politik der Subventionen


Joschka Fischer machte bei aller Diskussion um nachhaltigere Lebensmittel einen Punkt sehr deutlich: Ein Großteil der Agrarpolitik und -wirtschaft hat sich aus einem bestimmten Grund so entwickelt. Nach Kriegsende herrschte Hunger, viele Menschen sind in dem Bewusstsein der Angst vor einem solchen Zustand aufgewachsen. Als die konventionelle Landwirtschaft in Deutschland flächendeckend mit billigen Lebensmitteln versorgte, wurde über die Konsequenzen nicht weiter nachgedacht. „Der Preis von Konsum wird erst später klar“, so Fischer.


Allgemein wurde die Agrarpolitik der Europäischen Union unter den Diskutanten sehr kritisch betrachtet. Vor allem für Dr. Alexander Beck von der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller ist deren Vorgehen gescheitert. „Die Landwirtschaftliche Betriebsführung ist anders als im Haushalt oder im Betrieb“, erklärte Beck. So kommt die Hälfte des Gewinns der Bauern unter Umständen aus Agrarsubventionen. Durch die Verteilung der Gelder auf zwei Säulen werden die Akzente jedoch an den falschen Punkten gesetzt. Je größer der Betrieb, desto mehr Subvention erhält der Bauer einfach aufgrund der Größe seiner landwirtschaftlichen Fläche. Diese öffentlichen Gelder kommen dann nicht ausreichend dem Geimeinwohl zu Gute. „Auf dem Trecker sitzen und ein Feld abfahren ist noch keine Leistung“, so Beck.


Die Macht des Verbrauchers


Moderator Fritz Lietsch bezeichnete es als „den täglichen Wahlschein“. Das Panel war sich einig – durch das Konsumverhalten steuert der Verbraucher, was in den Supermarktregalen landet. Mit Bio-Siegeln und Zertifikaten wird ihm vermittelt, welche Produkte er vermeintlich bedenkenlos kaufen kann. Alleine die Tatsache, dass diese Kennzeichnungen nötig sind, ist für Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland e.V. ein Teil des Problems. „Die Distanz zwischen Verbraucher und Produzenten wird immer größer“, so die Kulturwissenschaftlerin und plädierte in diesem Zusammenhang für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Vor allem eine Rückkehr zu mehr Esskultur ist für sie zwingend notwendig, um den Steuerungsmechanismus „Verbraucher“ wirksam einzusetzen. „Das Essen ist unser Beziehungsstifter zur Welt, diese Bedeutsamkeit müssen wir wieder ernst nehmen“, so Hudson.


Dr. Eick von Ruschkowski, Leiter der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz, machte in diesem Zusammenhang vor allem auf die problematische Rhetorik im Umgang mit Lebensmitteln aufmerksam. „Wir haben es mit zunehmend urbanen Bevölkerungen zu tun, die hohe Anforderung an das Produkt haben, aber nicht verstehen, wie Landwirtschaft funktioniert“, so Ruschkowski. Diese fehlende Empathie führte Johannes Doms, Mitglied der Geschäftsleitung von HiPP, auf einen großen Bildungsnotstand zurück. „Unsere Kinder werden nicht mit Verantwortung erzogen. Sie müssen funktionieren und flexibel sein. Das kritische Denken steht im Hintergrund“, so seine Analyse. Nur ein mündiger Bürger kann demnach auch sein Verhalten an der Supermarktkasse hinterfragen.


Reicht der Fingerzeig auf den Konsumenten?


Auch darin waren sich die Diskutanten einer Meinung: Der Verbraucher allein wird es nicht richten. Dafür braucht es eine wirksame Zusammenarbeit aller Player. Doch sowohl Joschka Fischer als auch Christoph Heinrichs machten klar: Es gibt nicht die Politik oder den Verband, die am Ende die Entscheidung treffen. „Der Tisch, an dem solche Dinge diskutiert werden, den gibt es. Er heiß deutscher Bundestag“, so Fischer. Doch um ein bereits existierendes System zu ändern, brauche es einen langen Atem. In seinen Augen hat sich dennoch viel getan. Wurde man in den 80er Jahren als „Öko“ belächelt und verspottet, spürt er mittlerweile doch den Geist der Veränderung. Seine Prognose fiel trotzdem weniger optimistisch aus. „Ich fürchte, der schlimme Druck der Katastrophe muss kommen“, machte Fischer klar.


Auch Christoph Heinrichs Bericht aus der WWF-Praxis beschwor zunächst ein düsteres Bild herauf. „Über das Thema Verantwortlichkeit hat sich der WWF weltweit Gedanken gemacht. Ein Dialog mit sieben Milliarden Menschen ist nicht möglich“, sagte Heinrichs. Für ihn liegt die Lösung bei den Hauptakteuren, man müsse Unternehmen und den Handel besser mobilisieren und Subventionen sinnvoller einsetzen.
Für Bäuerin Christine Singer ist die Lösung klar: Die Bauern brauchen bessere Verträge, wo ihnen biologisch produzierte Mittel abgenommen werden, wo man eine gewisse Planungssicherheiten besitzt und wo an den Verbraucher am Ende auch diese Umstände kommuniziert werden. Den schwarzen Peter den Landwirten zuzuschieben, ist für sie nicht ausreichend.


Auf der Suche nach einer Lösung


Lösungsansätze wurden im Laufe des Abends einige diskutiert. Ruschkowski schlug beispielsweise ein Subventions-System vor, dass auf Honorierung statt auf Gießkanneneffekte setzt. Joschka Fischer sieht die große Chance im Einsatz modernerer Technologien. Dr. Ursula Hudson forderte ein Ende des Etiketten-Schwindels und Christine Singer einen verantwortungsvolleren Umgang mit den Bauern.
Doch liegt es am Ende nicht doch wieder in der Hand des Bürgers? Egal ob die Wahlurne an der Supermarktkasse oder im Bundestag – das Panel zeigte, dass die Wende nur dann geschafft werden kann, wenn jeder einzelne damit anfängt, sein Handeln zum Wohl des Planeten und seiner zukünftigen Generationen zu hinterfragen.


 

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